Wie zu erwarten war, häufen sich die Hinweise, dass Ressourcenknappheit ebenso wie Überbevölkerung zu Konkurrenz und Konfliktpotenzial führt. Laut dem “Global Risks Report 2019” des Weltwirtschaftsforums nehmen die geopolitischen Risiken zu. In seinem Vorwort fragt es explizit rhetorisch:
“Schlittert die Welt schlafwandelnd in eine Krise? Die globalen Risiken verschärfen sich, aber der kollektive Wille, sie anzugehen, scheint zu fehlen. Stattdessen verhärten sich die Fronten. Der im letztjährigen Global Risks Report festgestellte Übergang der Welt in eine neue Phase stark staatszentrierter Politik setzte sich auch 2018 fort. Die Idee der “Rückgewinnung der Kontrolle” – sei es im eigenen Land von politischen Rivalen oder extern von multilateralen oder supranationalen Organisationen – schwingt in vielen Ländern und bei vielen Themen mit. Die Energie, die jetzt darauf verwendet wird, die nationale Kontrolle zu konsolidieren oder zurückzugewinnen, birgt die Gefahr, dass die kollektiven Antworten auf die neuen globalen Herausforderungen geschwächt werden. Wir driften immer tiefer in globale Probleme hinein, aus denen wir uns nur schwer wieder herauswinden können.”
Die seither wachsenden militärischen Spannungen im Zuge der Neuordnung der Welt gehen inzwischen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eines neuen „kalten Krieges“ einher. Auch wenn wir uns mit der „atomaren Bedrohung“ eingerichtet zu haben scheinen, ist sie seit Hiroshima und Nagasaki unvermindert real. Sie kann, zwar nicht unerwartet, aber unvermittelt zu einer Katastrophe führen, die keineswegs lokal begrenzt bleiben muss.
Aber auch unterhalb der Schwelle zum militärischen Konflikt wird der wirtschaftliche Schaden beispielsweise einer Entkopplung der USA von China für die EU und hier insbesondere für Deutschland erheblich sein.
Schon die NATO-Russland-Krise von 2014 hatte der europäischen Wirtschaft schwere Verluste zugefügt. Sollten sich europäische Staaten den Sanktionen gegen strategisch wichtige chinesische Unternehmen anschließen, würde Europa noch wesentlich härter getroffen werden. Sollten wir uns wirklich dafür einspannen lassen, als Europäische Staaten US-amerikanische Hegemonialpolitik zu exekutieren?
Wo bleiben dabei die Interessen Europas? Nun, die zersplitterte europäische politische Landschaft, die zu einem guten Teil aus Zwergstaaten besteht, können wir getrost als Vasallen der USA betrachten. In den USA getroffene Entscheidungen werden, um den Anschein einer autonomen Entscheidung aufrechtzuerhalten, zwar mit einer verschämten Verzögerung aber dennoch von Europa ausgeführt.
Aber ist es wirklich in Europas Interesse, einfach in amerikanische Fußstapfen zu treten, amerikanische Kriege im Nahen Osten zu führen – zumindest ein bisschen, russisches Gas und chinesische 5G-Produkte zugunsten amerikanischer Marken zu blockieren?
Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass das China-Bashing, „made in USA“, in einem erneuten Großmacht-Wettstreit wurzelt, der sich seit einigen Jahren entwickelt. Diese US-Politik spaltet die Welt zunehmend zwei gegnerische Lager. Was in Europa gerade erst beginnt, scheint in anderen Regionen, die dazu neigen, jedem US-Impuls zu folgen, bereits in vollem Gange zu sein. Australiens Beziehungen zu China z.B. sind, wie Bloomberg berichtet, seit 2018 angespannt, als Canberra Huawei Technologies Co. aus “Gründen der nationalen Sicherheit” den Aufbau eines 5G-Netzwerks untersagte. Sie sind Anfang 2021, zu dem Zeitpunkt da dieser Beitrag verfasst wird, wahrhaft frostig, nachdem die Regierung von Premierminister Scott Morrison eine internationale Untersuchung über die Ursprünge des Coronavirus forderte. Wie Mohamed A. El-Erian in einem Bloomberg-Kommentar hervorhebt: Die Kosten für Australiens 2-Optionen-Modell werden weiter steigen. Das versteht er auch als Warnung an Länder, die das ebenfalls versuchen, darunter Kanada und Singapur.
Wir Europäer neigen Normalerweise dazu, jeder US-Politik blindlings zu folgen. In Fällen, in denen wir das nicht tun, wie im Fall der North-Stream-Pipeline (ob ihr Bau nun eine kluge Entscheidung war oder nicht), bekommen wir von unserem „älteren Bruder“ eine pädagogische Ohrfeige, die uns wieder zur Vernunft bringen soll – oder einfach vollendete Tatsachen. In dieser zunehmend polarisierten Weltordnung werden wir nicht einmal aufgefordert, eine Seite zu wählen. Von uns wird nur erwartet, dass wir folgen.
Je mehr die USA ihre Muskeln spielen lassen und China entsprechend reagiert, desto größer ist das Risiko, dass die Länder mit der doppelten Option gezwungen sein werden, sich für eine Seite zu entscheiden, insbesondere bei bestimmten Technologien.
Wie beim letzten Kalten Krieg könnte es auf lange Sicht einen klaren Gewinner geben. Wie aber bei allen Vorhersagen können wir uns allerdings nicht sicher sein, auf welche Seite wir heute setzen sollten. Wir können schon jetzt einen klaren Verlierer benennen – es wird der Planet sein, auf dem wir leben, das heißt wir alle.
Dass wir diesen Herausforderungen bisher nur zaghaft, unentschlossen oder gar planlos begegnet sind, hat seinen Grund. Uns fehlt dafür die mentale, die philosophische Ausrüstung. Vom „Seid fruchtbar und mehret Euch“ der Bibel bis zum „The sky ist the limit“ neo-liberaler Theoretiker wurden wir bisher stets vom Glauben an die Grenzenlosigkeit des Wachstums angetrieben. Diese in dem Wort „Fortschritt“ kondensierte Erwartung von „alles wird immer besser“ stößt nun allerdings unübersehbar doch an Grenzen. Nicht, dass wir es nicht hätten wissen können. Es fällt uns nur unendlich schwer zu akzeptieren, dass wir vor einer Zeitenwende stehen, die von uns ein radikales Umdenken einfordert.
Unsere jeweiligen politischen Führungen allerdings steuern leider kollektiv in die falsche Richtung. Es ist an der Zeit, entsprechende Gegenkräfte zu mobilisieren.
Wir brauchen ein Europa, das als Spieler auf der Weltbühne ernst genommen wird, sich erstens für die Erhaltung der Lebensbedingungen wirksam einsetzt, zweitens seine Interessen im Konzert der Weltmächte nachhaltig vertritt und dabei die typisch Europäischen liberalen Bürgerfreiheiten bewahrt – eine große Herausforderung, der die heutige EU in keiner Weise gewachsen ist.