„Der beißt nicht. Der will nur spielen“, sagen Hundeführer gerne über ihre Schützlinge.
Mit einem leicht abgewandelten Statement lässt sich die Grundeinstellung heutiger Berufspolitiker charakterisieren:
„Die machen keine Politik. Die wollen nur Karriere machen.“
Also keine Angst, alles halb so wild, nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Der politische Inhalt wird nach Opportunität zurechtgebogen. Der Karriereerfolg ist das alleinige Kriterium.
Ein Caveat jedoch sei angebracht: Das Gesagte gilt nur für Organisationen, in denen sich eine Karriere auch lohnt – und das politische Programm ohnehin eher durch Meinungsumfragen als durch eine innere Überzeugung bestimmt wird. Wie sonst ließe sich erklären, dass in Deutschland im Frühjahr 2021, kurz vor einer Wahl, plötzlich alle Parteien „ergrünen“. Während sie noch vor Kurzem über die „grünen Spinner“ hergezogen hatten, haben sie urplötzlich, getrieben durch Wahlprognosen, in einer abrupten Kehrtwende ebenderen Programmpunkte ohne Zögern übernommen. Anders sieht es meistens am rechten und linken Rand des politischen Spektrums aus. Hier sitzen noch politische Überzeugungstäter – zu Beginn jedenfalls.
Erhalten wir auf diesem Wege die politische Elite, die wir glauben, zu brauchen? Wohl eher nicht.
Vertagen wir für einen Augenblick einmal die Frage, ob wir denn wirklich eine „politische Elite“ benötigen. Aber warum eigentlich erhalten wir sie auf diese Weise eben nicht?
Nun, der instinktsichere, reaktionsschnelle Dschungelkämpfer ist eben nicht der weitblickende Führer auf seinem einsamen Gipfel. Jedes verdächtige Rascheln blitzschnell einschätzen zu können, im Zwielicht des Unterholzes, in dem man nun mal seine Karriere beginnt, einen Schatten als Bedrohung zu erkennen, gleichzeitig aber die richtigen Allianzen – auf Zeit – zu schmieden, kurz Survival-Fähigkeiten, sie sind für den Aufstieg wesentlich. Sonst überlebt der ehrgeizige Neuling schon die ersten Tage in den Hinterzimmern der Gremiensitzungen nicht.
Aber qualifizieren sie auch zur Führung einer Behörde, eines Staats?
Natürlich findet hier eine Auswahl der Fähigsten statt. Das sind keine Dummchen, die sich hier durchsetzen – na ja, in der Regel nicht. Aber es ist eben eine spezielle Auswahl. Nun geht die traditionelle politische Karriere in diesem, unserem Lande allerdings, wie jeder andere Aufstieg auch über verschiedene Stufen, den „langen Marsch durch die Institutionen“ vom kleinen Parteisoldaten bis zum mächtigen Parteisekretär.
Klar, dass sich die Anforderungen an die Kandidaten auf den einzelnen Stufen unterscheiden. Die Auswahl müsste also auf jeder Stufe neu beginnen, mit dem Ergebnis, dass vielleicht einmal kein geeigneter Kandidat zur Verfügung steht. Schlangen und andere Reptilien, wie auch Insekten, häuten sich, wenn sie wachsen wollen. Das tun auch Karrieristen in Unternehmenshierarchien. Und das tun Parteiaufsteiger eben auch. Sie schlüpfen einfach in eine neue Rolle, manchmal in eine neue Identität, ändern ihre Gewohnheiten, manchmal ihr Umfeld und tauschen ihre Kontakte aus. Sie „akquirieren“ den geforderten optimalen „Skillset“ für diese Rolle.
Alles nur eine Frage des Engineerings, des Managements. Hmmm, geht das so, so einfach? Ach eines hatte ich noch vergessen. Ab irgendeiner Stufe muss man auch an die Wirkung auf die Öffentlichkeit denken. Da muss man bei aller Qualifikation, „authentisch ‚rüberkommen“. Dafür muss man einige, geschickt gestaltete „Ecken und Kanten“ vorzeigen können, vielleicht sogar eine gewisse Volkstümlichkeit. Denn das Volk stellt später dann schließlich einmal auch das Wahlvolk.
Die harte Kärrnerarbeit der treuen Parteisoldaten an der Basis muss ebenfalls belohnt werden. Sonst finden sich am Ende womöglich keine Sänftenträger für die Mächtigen mehr. Jede Pyramide braucht ihre Basis. Es gibt also auch alternative Wege nach oben – vielleicht sogar, ohne 7 Häutungen zu durchlaufen.
Darum geht es schließlich, um den Weg nach oben, den Viele gleichsetzen mit dem Weg zur Macht, Macht über Andere.
Diese Maschinerie funktioniert schon lange so. Sie hat bereits ganze Politikergenerationen hervorgebracht, also auch die, deren mangelnde Weitsicht wir so sehr beklagen, deren Parteiengezänk uns auf die Nerven geht, denen wir nicht zutrauen, uns heil durch die Fährnisse zu leiten, die auf dem ungewissen Weg in die Zukunft vor uns liegen. Wenn wir also eine neue, eine ganz andere politische Elite wollen, dann muss diese offenbar durch andere Mechanismen hervorgebracht werden, vielleicht unter Verzicht auf eine klassische Karriere.
Aber ist diese politische Elite eigentlich notwendig? Ist der Berufspolitiker, der alles kann und sonst Nichts 😊, im digitalen Zeitalter eigentlich noch zeitgemäß?
Unsere Antwort hier ist ein klares Nein.
Politik ist zu wichtig, als dass wir sie den Politikern überlassen könnten, die – siehe oben – gar nicht „beißen“ wollen. Wir brauchen offenbar ein ganz anderes System, um zu politischen Entscheidungen zu kommen, um zu regeln, zu regieren.
Dieses System haben wir heute nicht. Darüber herrscht wohl Konsens.
Wie es aussehen soll, dazu kenne ich keine konsolidierten und akzeptierten Theorien. Also müssen wir selber nachdenken, uns herantasten – am besten deduktiv, top-down.
Unsere These lautet: Weniger Mensch – mehr Programm, analog dem bekannten Graffito „Keine Macht für Niemand“.
Parteiprogramme gibt es schon lange. Jede Partei hat eins. Wenige Wähler haben je eines gelesen oder gar ihre Wahlentscheidungen darauf aufgebaut. Meistens sind sie bewusst allgemein gehalten, um den politischen Spielraum der handelnden Akteure nicht unnötig einzuengen. Entsprechend geben sie im konkreten Entscheidungsfall selten determinierende Entscheidungshilfe.
Das Wort „Programm“ hat im allgemeinen Verständnis mindestens zwei Bedeutungen: Einmal eben das besagte Parteiprogramm. Im Kontext von Computern aller Art wird es mit einer deterministischen Rechenvorschrift gleichgesetzt.
Wie wäre es eigentlich, wenn wir beide Varianten zusammenführten? Gedanken darüber sind bereits an anderer Stelle nachzulesen. Wir sollten sie hier nicht wiederholen. Nur so viel sei gesagt: Im Ergebnis und langfristig betrachtet halten wir Algorithmen für die besseren Politiker.
Werden Politiker dann arbeitslos? Nein, sie werden zu Programmierern – zu Parteiprogrammierern. Vielleicht braucht man dann auch keine Berufspolitiker mehr. An Entwurf, Abstimmung und den umfangreichen Tests, können dann auch Teilzeit- oder Feierabendpolitiker mitwirken.
Der Weg zu mehr direkter Demokratie, der über Bürgerbegehren und ähnliche Aktionen – außer in der Schweiz – eher schlecht funktioniert, ist damit über eine geregelte Mitwirkung am Regelwerk mithilfe aktueller elektronischer Kommunikation geebnet.
Ein permanenter Parteitag nach Art eines Facebook-Chats? Ja, warum denn nicht?