Über Flucht, Asyl und Migration

Zwischen Schutzanspruch und Selbstbehauptung
Eine Reflexion zu Flucht, Verfolgung, Asyl und Migration

Eine Frage, die unsere Zeit bestimmt

Wohl kaum ein Thema bewegt Europa derzeit so sehr wie das Spannungsfeld aus Flucht, Verfolgung, Asyl und Migration. Es ruft emotionale Reaktionen hervor, spaltet Gesellschaften und stellt die Fundamente liberaler Demokratien auf die Probe. Wer sich dieser Herausforderung stellen will, muss die historischen Wurzeln verstehen, den rechtlichen Rahmen kennen, die gegenwärtigen Dynamiken im Blick haben und zu einer politischen Haltung finden, die sowohl den humanitären als auch den gesellschaftsstabilisierenden Anforderungen gerecht wird.[1]

Wir wollen nicht beim morgendlichen Blick in den Spiegel einem kaltherzigen, selbstsüchtigen Monster begegnen. Wir wollen aber auch nicht unsere freiheitliche, säkularisierte Gesellschaftsordnung gefährden, die nun mal von Voraussetzungen lebt, die der Staat nicht garantieren kann, die also in der Gesellschaft bereits vorhanden sein müssen.[2]

Dieses Thema ist emotional derart aufgeladen, dass es das Potential hat, die aktuelle politische Landschaft auf den Kopf zu stellen, die Gesellschaft zu sprengen. Wir wollen uns ihm im Kontrast dazu in möglichst nüchterner Logik annähern.

Unsere Position in Kürze

  • Wir lassen Schutzsuchende nicht an unseren Grenzen verkommen, entsorgen sie nicht im Mittelmeer. Wir bieten ihnen Schutz und versorgen sie mit dem Nötigsten. Wir halten uns dabei an internationale Abkommen und werden dem Wesen unseres Grundgesetzes[3] gerecht.

  • Die Genfer Flüchtlingskonvention stellt dabei hohe Ansprüche an die Behandlung von Schutzsuchenden, gewährt aber auch ausreichend Handlungsspielraum, um Schaden von den Völkern der aufnehmenden Staaten abzuwenden. Anders als in der Vergangenheit wollen und müssen wir diesen Handlungsspielraum konsequent ausschöpfen.[4]

  • Migration ist ein Oberbegriff, der sich aufteilt in die Gewährung von Asyl und reguläre Einwanderung. Aber, Asyl ist strikt von Einwanderung zu trennen. Es sind zwar kontrollierte Übergänge denkbar, beides gleichzusetzen aber zeugt von gefährlicher Ignoranz. Wer flüchtet, so unterstellen wir, verlässt sein Land aus purer Not – nicht, weil er einer von uns werden will. Er sucht Asyl. Wer aber einwandern will, hat sich entschlossen Deutscher, oder, wenn es einmal soweit ist, Europäer zu werden. Hier prüft der aufnehmende Staat, ob seine Zuwanderung nützlich erscheint und die Motive aufrichtig sind – und trifft seine Auswahlentscheidung.

  • Wir verhehlen nicht die monströsen Probleme, die damit einher gehen, diese drei simplen Grundprinzipien in Einklang zu bringen und ihnen zu folgen.[5]

    • Nach unseren Maßstäben sichere Herkunftsländer sind rar.

    • Flüchtlinge kommen mehrheitlich aus Ländern zu uns, in denen die Werte der Europäischen Aufklärung unbekannt sind, Menschenrechte nicht gelten. Wir können nicht erwarten, dass sie unsere Werte teilen und mittragen. Oft sind sie zusätzlich schwer traumatisiert und stellen potenziell eine Gefahr dar.

    • Die Bekämpfung der Fluchtursachen ist aktuell weitgehend ein Tabuthema. Eine gedankenlose Außenpolitik trägt oft unmittelbar zu den Fluchtursachen bei.

    • Die schiere Zahl derer, die zu uns wollen, bringt einen gewaltigen Aufwand mit sich, der für eine qualifizierte Identifikation, Beurteilung, Einordnung, für die Sicherheit und wiederholte Überprüfungen zu erbringen ist.

    • Das (noch) reiche aber kleine Deutschland, wird die anstehenden Aufgaben allein nicht stemmen können. Hier ist als Minimum ein Europa als staatliche Einheit gefordert. Die aber gibt es noch nicht.

Historischer Rückblick – Europa: Schauplatz und Akteur von Migration

Migration ist kein neues Phänomen. Die europäische Geschichte ist durchzogen von Flucht, Vertreibung, Asyl und Zuwanderung:

  • 1685 gewährte der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg mit dem Potsdamer Edikt verfolgten Hugenotten Zuflucht – ein früher Akt staatlich garantierter Asylpolitik.

  • Im 19. Jahrhundert entstand mit dem Zionismus eine Form der Selbstorganisation und Migrationsplanung, ausgelöst durch judenfeindliche Bedrohungen.

  • Während des NS-Regimes versuchten Hunderttausende Intellektuelle, Andersdenkende und jüdische Bürger zu fliehen – oft vergeblich.

  • Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden bis zu 14 Millionen Deutsche aus Ostmitteleuropa vertrieben.

  • “Gastarbeiter” aus Italien, Türkei oder Jugoslawien prägten die wirtschaftliche Nachkriegsentwicklung Deutschlands, viele blieben dauerhaft.[6]

Diese historischen Erfahrungen zeigen: Deutschland war Verursacher, Empfänger und Profiteur von Migration zugleich.

Der rechtliche Rahmen – Menschenrecht und Souveränität im Spannungsfeld

Das internationale, europäische und nationale Recht bildet heute einen vielschichtigen Rahmen:

  • Die Genfer Flüchtlingskonvention (1951) garantiert den Schutz politisch Verfolgter. Sie definiert, wer als Flüchtling gilt, und verbietet Zurückweisung in Verfolgerstaaten (Non-Refoulement-Prinzip).

  • Die Europäische Menschenrechtskonvention sichert individuelle Rechte für alle, auch für Geflüchtete.

  • In Deutschland ist das Grundrecht auf Asyl (Art. 16a GG) verfassungsrechtlich verankert, jedoch durch Einschränkungen im Asylkompromiss von 1993 und durch EU-Regelungen (z. B. Dublin-III-Verordnung) modifiziert.

  • Wirtschaftliche Migration ist in Deutschland bislang nur selektiv gesetzlich geregelt (z. B. Fachkräfteeinwanderungsgesetz).[7]

Das Spannungsfeld: Einerseits verpflichten internationale Normen zu humanitärem Schutz, andererseits beansprucht der Nationalstaat das Recht, über Einreise und Aufenthalt souverän zu entscheiden.

Gegenwart – Dramen, Ursachen und Verwerfungen

Die heutige Migrationsrealität ist oft brutal:

  • Über 20.000 Menschen starben seit 2000 auf der Flucht im Mittelmeer (IOM, 2023).

  • Fluchtrouten durch die Sahara oder den östlichen Balkan sind lebensgefährlich.

  • Viele Fluchtursachen sind hausgemacht (Korruption, Gewaltregime, Klimakrise), andere sind vom Westen mitverursacht (z. B. Irakkrieg, Interventionen in Syrien oder Afghanistan).

  • Eine lukrative Schleuserindustrie nutzt die Not schamlos aus und fördert irreführende Erwartungen.[8]

Gleichzeitig versagt die internationale Koordination: Griechenland und Italien etwa sind überfordert, Frankreich ringt mit innerer Integration, Schweden hat in Teilen an staatlicher Autorität eingebüßt, die USA erleben eine Politisierung des Grenzschutzes ohne strukturelle Lösung.

Integration und ihre Grenzen – Das Böckenförde-Diktum im Zentrum

Der Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde schrieb: “Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.” Dieses auch als Böckenförde-Diktum bekannte Statement ist derart fundamental für eine Gesellschaft, die nach den Werten der Europäischen Aufklärung leben will, dass es einer vertieften Betrachtung und, anders als in der Vergangenheit, einer kompromisslosen Anwendung bedarf.

Was heißt das für Migration?

  • Die liberale Ordnung Europas ist fragil. Sie kann nur bestehen, wenn Migrantinnen und Migranten diese Ordnung akzeptieren und mittragen.

  • Da das nicht erwartet werden kann, gefährdet eine unkontrollierte Migration mithin Kohäsion, Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit.

  • Freizügigkeit muss an Integrationsfähigkeit und -willigkeit gekoppelt sein. Beides muss überzeugend nachgewiesen werden.

  • Wer Flüchtenden hilft, darf nicht naiv sein: “Offene Herzen” brauchen klare Regeln. Ohne Selbstschutz können wir auch keinen Schutz mehr bieten.[9]

Handlungsprinzipien für eine aufgeklärte Gesellschaftspolitik

Die Bewegung „Europäer für den Planeten“ bekennt sich zur Humanität – und zur rationalen Steuerung.

Daraus ergeben sich Prinzipien:

  1. Kein Mensch darf an der Grenze sterben. Sofortige humanitäre Hilfe ist uns Pflicht.

  2. Politisch Verfolgte müssen Schutz finden. Aber nicht automatisch ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht oder die Staatsbürgerschaft erhalten.

  3. Rückführung muss möglich sein. Wer keine Schutzgründe nachweist oder gegen Gesetze verstößt, muss gehen und wird bis zu seiner Ausreise in Sicherheits-verwahrung genommen.

  4. Differenzierung ist essenziell: Zwischen politisch Verfolgten, Kriegsvertriebenen und Wirtschaftsflüchtlingen und freiwilligen Einwanderern.

  5. Illegale Einreise bleibt ein Rechtsverstoß. Recht und Ordnung dürfen nicht ausgesetzt werden. Geschützte Grenzen sind für einen funktionierenden Staat wesentlich.

  6. Mehrfache Staatsbürgerschaften nur in seltenen Fällen. Loyalität zum Gemeinwesen ist unteilbar. Ein Deutscher (später Europäischer) Staatsbürger, der eine weitere Staatsbürgerschaft annimmt, verliert automatisch die Deutsche.

Resümee – Mut zur Klarheit in der Debatte

Der Umgang mit Migration in seinen unterschiedlichen Ausprägungen wird Deutschland, Europa und die Mehrmals der Regionen diese Planeten weiter vor große und wachsende Herausforderungen stellen. Die Antwort kann weder Abschottung, noch unkontrollierte Offenheit sein. Wer Humanität und Freiheit bewahren will, muss Prinzipen definieren, ihnen konsequent folgen, Grenzen setzen, dafür Verantwortung zu übernehmen und sein Weltbild den sich wandelnden Gegebenheiten anpassen: Das gilt für die Aufnahmeländer, für die Geflüchteten, für die eigene Gesellschaft – für jeden von uns.

Nur wenn wir Prinzipien mit Pragmatismus verbinden, kann Europa seine Selbstachtung, seine Werte bewahren und seine Stellung in der Welt behaupten.

Referenzen

[1] Bundeszentrale für politische Bildung. (2023). Flucht und Asyl. https://www.bpb.de/themen/migration-integration/flucht/

  • Provides statistical and policy context for current debates on asylum and migration in Germany.

[2] Böckenförde, E.-W. (1991). Staat, Gesellschaft, Freiheit: Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht. Suhrkamp.

  • Explores the philosophical foundations of liberal democracy — essential to understanding integration limits.

[3] UNHCR. (2022). Global Trends: Forced Displacement in 2022. https://www.unhcr.org

  • Annual report offering key global data on refugee flows and protection needs.

[4] Geneva Convention Relating to the Status of Refugees. (1951). United Nations. https://www.unhcr.org/1951-refugee-convention

  • Defines the international legal framework for refugee protection and obligations of states.

[5] Gößmann, A. (2020). Migrationspolitik in der EU: Akteure, Interessen, Konflikte. Nomos.

  • Analyses EU migration policy, governance structures, and political conflicts shaping asylum frameworks.

[6] IOM – International Organization for Migration. (2023). Missing Migrants Project. https://missingmigrants.iom.int

  • Documents migrant deaths and disappearances worldwide; evidences humanitarian consequences of irregular migration.

[7] BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. (2024). Asylgesuchzahlen in Deutschland. https://www.bamf.de

  • Official data source on asylum applications in Germany; contextualises national policy trends.

[8] UNHCR & IOM (2023). Mediterranean Migration Review. https://www.unhcr.org/migration

  • Joint assessment of Mediterranean migration routes, mortality data, and policy responses.

[9] Böckenförde revisited – see [2].

  • Highlights the continuing relevance of the Böckenförde Diktum in modern migration debate.
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Ich bin bin in (Ost-) Berlin geboren. Noch im letzten Augenblick konnten meine Eltern mit mir den Westteil der Stadt und von dort Norddeutschland erreichen. Ich habe Chemie, Informatik, Orientalistik und Volkswirtschaftslehre studiert. Heute bin ich als Interim Manager, Unternehmensberater, Buchautor und Dozent tätig.

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