Nach der Wahl ist vor der Wahl

Friedrich Merz hat gewonnen. Er hat sein ganz persönliches Ziel erreicht. Aller Voraussicht nach wird er mit dem zweit-schlechtesten Wahlergebnis der CDU/CSU-Geschichte der 10. Deutsche Bundeskanzler werden. Dass er die Voraussetzungen für diesen Weg hatte, hat ihm bereits Angela Merkel anlässlich der Vorstellung ihrer Memoiren „Freiheit“ im Dezember 2024 bescheinigt (zas-freiburg.de), indem sie ihm den „unbedingten Willen zur Macht“ attestierte – mit dem Zusatz ‚und deshalb gönne ich es ihm‘.

Diese bei einigem Nachdenken kompromittierende Aussage war offenbar ernsthaft als Kompliment, als Anerkennung von Merz‘ Entschlossenheit gemeint. Ein Mensch, der sich und sein Ziel allem und allen anderen voranstellt, soll also die beste Wahl zum Wohl Deutschlands sein?  Die Zukunft Deutschlands als eine persönliche Karriere. Doch wohl nicht ernsthaft.

Bei Friedrich Merz wird dieser Weg besonders deutlich werden – eine Ausnahme aber ist er mitnichten, eher die Regel (Die politische Karriere).

Zu beneiden ist der zukünftige Kanzler de Bundesrepublik Deutschland allerdings keineswegs. Solange die „Brandmauer“ zur AFD gegen eine wirklich „große Koalition“ noch hält, ist nur eine mittelgroße Koalition mit einer völlig erschöpften SPD denkbar. Dieser würde damit, nach ihrem schlechtesten Wahlergebnis seit 137 Jahren, die Erneuerung in der Opposition verwehrt. Ihr endgültiger Untergang wäre damit besiegelt, die deutsche Sozialdemokratie damit Geschichte.

Das wäre aber nicht einmal der einzige dramatische Wandel, der uns bevorsteht.

Ganz Europa steht zweifelsohne an einem historischen Scheideweg. Der eine Weg führt zur strategischen Autonomie, zur politischen Einheit und der Stärkung der eigenen militärischen Fähigkeiten, um echte Unabhängigkeit zu erreichen.

Der andere Weg bedeutet, sich in eine starke Abhängigkeit von den USA zu begeben und sich in wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Fragen noch stärker auf sie zu verlassen, also ganz offiziell ein Vasallenstaat zu werden.

Diese Entscheidung wird Europas Rolle und Position in der zukünftigen globalen Landschaft bestimmen.

Die Lage ist ernst. Ian Bremmer fragte rhetorisch am 26. Februar 2025: „Kann Friedrich Merz der Führer sein, den Deutschland – und Europa -braucht?“ Nun, die kurze Antwort lautet nein. Das meint auch Lukas Hermsmeier von der NYT. Bremmer, als Journalist, gibt eine längere Antwort, die jedoch hilfreich ist.

Immerhin traf Friedrich Merz traf den rechten Ton, ordnete die Dringlichkeit angemessen ein, als er bekundete, dass seine „absolute Priorität“ als Kanzler darin bestehen wird, „Europa zu stärken“, um „Unabhängigkeit“ von den Vereinigten Staaten zu erlangen. Denn die Trump-Administration scheint dem Schicksal Europas „weitgehend gleichgültig“ gegenüberzustehen. Das hat inzwischen auch Friedrich Merz erkannt.

Bevor Washington begann, einen deutlich raueren Ton anzuschlagen, war Merz als überzeugter Transatlantiker bekannt. Jetzt aber scheint auch er zu ahnen, dass nicht nur deutsche Interessen auf dem Spiel stehen, sondern die Zukunft Europas und vielleicht sogar noch mehr.

Eine Idee, wie eine Stärkung Europas zu bewerkstelligen wäre, hat er allerdings offensichtlich nicht. Zumindest hat er sie nicht geäußert. Und überhaupt, Europa als international geachteter und auf der Weltbühne ernst genommener Akteur gibt es noch nicht, es muss erst noch geschaffen werden.

Ein unabhängiges und selbstbewusstes Europa, das weder von „Freund“ noch „Feind“ (sollte es unter Staate so etwas geben) in Einzelstaaten auseinander dividiert werden kann, wäre ein deutlich anders Kontrakt als die bisherige EU: Ein Bundesstaat anstelle eines Staatenbundes.  Eine solche Entität könnte, anders als die bisherige, eher belächelte EU, tatsächlich Einfluss auf die Geschicke der Welt nehmen.

Für China beispielsweise hätte eine richtungsweisende Entscheidung Europas erhebliche strategische Auswirkungen. Zum einen wäre ein unabhängigeres Europa in der Lage, die globale Strategie der USA bis zu einem gewissen Grad auszugleichen und ein günstigeres internationales Umfeld für China und damit auch für Europa zu schaffen.

Umgekehrt würde eine vollständige Abhängigkeit Europas von den USA die globale Dominanz der USA stärken und den strategischen Druck auf China erhöhen. Wenn Europa weiterhin vollständig von den USA sein wird, würde dies die globale Dominanz der USA stärken und den strategischen Druck auf China erhöhen. Europa würde zu eigenen Schaden als wirtschaftliche „Brechstange“ eingesetzt werden.

Um ernst genommen zu werden, muss ein Staat groß, stark und verlässlich sein. Das betrifft die wirtschaftliche Kraft, die militärische Stärke und die politischen Aktionen. Das ist so wohlbekannt, wie banal.

Damit sich ausreichend viele Europäische Staaten aber in diese Richtung bewegen, müssen sie schon einen erheblichen Handlungsdruck spüren.  Vielleicht gibt die aktuell unklare Sicherheitslage bereits einen Anstoß zum Handeln.

Während nämlich bisher die USA eindeutig als eine politisch-militärische Stütze für Europa empfunden wurden, steht Europa heute vor einer heiklen Entscheidung: ein Vasall unter dem Schutz der USA zu werden oder inmitten der Ungewissheit einer weltpolitisch unübersichtlichen Situation echte Unabhängigkeit anzustreben?

Es ist gut möglich, dass Europa von ebendieser vermeintlichen Schutzmacht zu einer Entscheidung gedrängt wird. So fragt denn der libertäre, konservative amerikanische Politiker im Ruhestand Dr. Ron Paul auch rhetorisch: „Die US-Steuerzahler sind gezwungen, mehr als die Hälfte des gesamten NATO-Haushalts zu finanzieren, während die europäischen Länder mit den Säbeln gegen Russland rasseln und mit Krieg drohen. Wenn sich Europa so sehr von Russland bedroht fühlt, warum trägt es dann nicht die Kosten für seine eigene Verteidigung? Warum müssen die armen Amerikaner für die Verteidigung der reichen Europäer aufkommen? Verpflichtungen gegenüber der NATO und anderen internationalen Organisationen zu beenden.

Zwar ist die Situation keineswegs so simpel, wie hier dargestellt. Auch sind die USA in der Vergangenheit recht gut mit dieser Aufgabenverteilung gefahren. (Das aber ist ein gesondertes Thema.) Was hier allerdings sehr deutlich wird, ist der radikale Meinungsumschwung – Für Europa ein Erdbeben.

Das klingt nach einem Weckruf. Vielleicht gelingt es ja. Ich bin mir jedoch nicht so sicher, ob wir, einmal auferweckt, bereits die richtigen Führungsteams in unseren europäischen Regierungen haben, eher bezweifle ich es. Sind sie nicht alle zu sehr mit ihren eigenen Karrieren beschäftigt?

Aber eines sollte klar sein: Deutschland wird als führende Nation nicht akzeptiert werden. Europa muss sich insgesamt neu erfinden.

Was wir bisher aufgebaut haben, mag schon beachtlich aussehen – aber leider wird es auch in naher Zukunft nicht mehr ausreichen.

Das Volk hat gewählt. Es muss jetzt mit dem Ergebnis leben. Die schwerwiegenderen Wahlentscheidungen aber stehen uns noch bevor.

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Ich bin bin in (Ost-) Berlin geboren. Noch im letzten Augenblick konnten meine Eltern mit mir den Westteil der Stadt und von dort Norddeutschland erreichen. Ich habe Chemie, Informatik, Orientalistik und Volkswirtschaftslehre studiert. Heute bin ich als Interim Manager, Unternehmensberater, Buchautor und Dozent tätig.

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